Überstunden und Überzeit – Was ist der Unterschied?

Überstunden und Überzeit werden umgangssprachlich oft als Synonyme verwendet. Aus rechtlicher Sicht sind die beiden Begriffe jedoch voneinander zu unterscheiden.

Definition von Überstunden

Als Überstunden gelten Arbeitsstunden, welche die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit (sogenannte Sollarbeitszeit) übersteigen. Dies gilt auch bei Teilzeitbeschäftigung. Ist im Einzelarbeitsvertrag, Gesamtarbeitsvertrag oder Normalarbeitsvertrag keine Regelung zur Arbeitszeit enthalten, so ist zur Abgrenzung von Überstunden nach Art. 321c Abs. 1 OR die «übliche Arbeitszeit» massgebend. Arbeitet ein Arbeitnehmer beispielsweise 44 Stunden in einer Woche und wurde eine wöchentliche Sollarbeitszeit von 42 Stunden vereinbart bzw. ist eine solche üblich, so hat der Arbeitnehmer zwei Überstunden geleistet.

Pflicht zur Leistung von Überstunden

Arbeitnehmer müssen ihre Arbeit grundsätzlich nur während der vereinbarten Arbeitszeit erbringen. In Ausnahmefällen sind Arbeitnehmer jedoch zu Leistung von Überstunden verpflichtet. Eine solche Pflicht besteht dann, wenn die Verrichtung von Überstunden notwendig und für den Arbeitnehmer zumutbar ist. Bei der Erbringung von Überstunden müssen zudem die Bestimmungen des Arbeitsgesetzes (ArG) über die Arbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden. Leistet der Arbeitnehmer auf Anordnung des Arbeitgebers Überstunden, so entsteht grundsätzlich ein Abgeltungsanspruch. Gleiches gilt für geleisteten Überstunden, welche vom Arbeitgeber nicht ausdrücklich angeordnet wurden. Dies jedoch nur unter der Bedingung, dass die Überstundenarbeit notwendig war oder vom Arbeitnehmer nach Treu und Glauben als notwendig betrachtet werden durfte. Der Arbeitnehmer hat den Arbeitgeber aber über nicht angeordnete, aber geleistete Überstunden umgehend zu informieren. Wartet der Arbeitnehmer mit dieser Information zu lange zu, besteht gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die Gefahr, dass er seinen Anspruch auf Kompensation oder Entschädigung der Überstunden verwirkt.

Unzumutbarkeit der Leistung von Überstunden

Unzumutbar ist die Leistung von Überstunden, wenn im Einzelfall gewichtige Interessen des Arbeitnehmers gegenüberstehen. Dies kann beispielsweise die Betreuungspflicht unmündiger Kinder oder anderer betreuungspflichtiger Personen sein. Wir empfehlen dem Arbeitnehmer jeweils im Einzelfall bei Anordnung von Überstunden solche Unzumutbarkeitsgründe umgehend zu melden, vorzugsweise belegbar z.B. per E-Mail, so dass der Arbeitgeber oder Vorgesetzte davon weiss und notwendige anderen Massnahmen ergreifen kann.

Kompensation bzw. Entschädigung von Überstunden

Geleistete Überstunden können gemäss Art. 321c Abs. 2 OR im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer durch Freizeit von gleicher Dauer kompensiert werden. Ist eine Kompensation nicht möglich oder wurde nichts anderes vereinbart, sind Überstunden mit einem Lohnzuschlag von 25% zu entschädigen. Der Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers kann durch die Parteien eingeschränkt (z.B. Entschädigung der Überstunden nur zu 100% statt 125%) oder ganz wegbedungen werden. Leitende Angestellte haben nur dann Anspruch auf Bezahlung von Überstunden, wenn entweder vertraglich eine feste Arbeitszeit vereinbart wurde oder dem Arbeitnehmer zusätzliche, über die vertraglich vereinbarten Pflichten hinausgehende, Aufgaben übertragen wurden oder alle Mitarbeiter während längerer Zeit im erheblichen Umfang Überstunden leisten mussten oder die Entschädigung der Überstunden explizit vereinbart wurde.

Sofern die Überstundenkompensation durch Freizeit von gleicher Dauer im Arbeitsvertrag vorgesehen ist, gilt dies als Einverständnis des Arbeitnehmers. Die Kompensation von Überstunden hat grundsätzlich, analog zur nachfolgend dargelegten gesetzlichen Regelungen zu Überzeitstunden, innert 14 Wochen zu erfolgen, wobei diese Frist durch Vereinbarung auf 1 Jahr verlängert werden kann.

Definition von Überzeit

Als Überzeit gilt diejenige Arbeit, welche der Arbeitnehmer über die gesetzliche Höchstarbeitszeit hinaus leistet. Das Arbeitsgesetz legt die wöchentliche Höchstarbeitszeit für industrielle Betriebe, für Büropersonal, technische und andere Angestellte sowie Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels (bei mehr als 50 Arbeitnehmer) bei 45 Stunden und für die übrigen Betriebe bei 50 Stunden fest (Art. 9 ArG). Überzeitarbeit beinhaltet immer auch Überstunden. Arbeitet beispielsweise ein technischer Angestellter mit einer wöchentlichen Sollarbeitszeit von 40 Stunden in einer Woche 51 Stunden, ergibt dies somit 11 Überstunden, wovon 6 Stunden Überzeit sind.

Kompensation bzw. Entschädigung von Überzeit

Im Gegensatz zur Überstundenarbeit kann die Entschädigung für Überzeitarbeit grundsätzlich nicht durch Vertrag wegbedungen werden. Das Gesetz sieht grundsätzlich eine Entschädigung der Überzeit zu 125% vor. Die Möglichkeit einer Ausnahme dazu sieht das Arbeitsgesetz betreffend die gesetzliche Entschädigungspflicht beim Büropersonal, den technischen und anderen Angestellten sowie das Verkaufspersonal in Grossbetrieben des Detailhandels für die ersten 60 Überzeitstunden im Jahr vor (Art. 13 Abs. 1 ArG). Da diese ersten 60 Überzeitstunden im Jahr gleichzeitig Überstunden darstellen, ist entscheidend, was vertraglich bezüglich Überstundenkompensation bzw. –entschädigung vorgesehen ist. Kommt die ordentliche gesetzliche Regelung, wonach Überstunden zu 125% zu entschädigen sind, zum Tragen, kann dies auch für die ersten 60 Überzeitstunden gelten. Sofern die Überstunden gemäss Vereinbarung nur zu 100% zu entschädigen sind, kann dies auch für die ersten 60 Überzeitstunden gelten usw.

Auch bei Überzeit gibt es die Möglichkeit der Kompensation durch Freizeit von gleicher Dauer. Dazu braucht es das Einverständnis des Arbeitnehmers. Fraglich bleibt dabei, ob ein generelles Einverständnis des Arbeitnehmers zur Kompensation durch Freizeit von gleicher Dauer wie bei den Überstunden möglich ist oder ob es dieses Einverständnis im Einzelfall nach Anfall der Überzeitarbeit braucht.

Wenn die Kompensationsmöglichkeit besteht, hat diese grundsätzlich innert 14 Wochen seit Anfall der Überzeit zu erfolgen. Wobei diese Frist durch Vereinbarung auf maximal 1 Jahr verlängert werden kann (Art. 25 Abs. 2 ArGV 1). Zu beachten ist weiter, dass der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie während einem Monat nach dessen Beendigung nicht auf Forderungen aus zwingenden Bestimmungen des Gesetzes sowie aus einem Gesamtarbeitsvertrages ergeben, verzichten kann. Hierzu zählen Entschädigungsansprüche aus Überzeitarbeit und aus bereits geleisteten Überstunden.

Ausnahmen bezüglich Überzeit

Es gibt gewisse Betriebe oder Betriebsteile (z.B. Landwirtschaftsbetriebe, Gartenbaubetriebe, öffentliche Anstalten und Körperschaften; vgl. Art. 5 ff. ArGV 1) bzw. gewisse Arbeitnehmer oder Tätigkeiten (z.B. Personal internationaler Organisationen und öffentlicher Verwaltung ausländischer Staaten, höhere leitende Tätigkeit, wissenschaftliche Tätigkeit, selbständig künstlerische Tätigkeit, Assistenzärzte, Erzieher und Fürsorger; vgl. Art. 8 ff. ArGV 1), die vom Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes ausgenommen sind. Sofern das Arbeitsgesetz für gewisse Betriebe oder Arbeitnehmer nicht gilt, kommen auch die Bestimmungen zur Überzeit bzw. zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit nicht zur Anwendung. Fraglich bleibt diesfalls, ob Ansprüche aus Überstunden entstehen. Dies ergibt sich aus dem Einzelarbeitsvertrag, Gesamtarbeitsvertrag oder Normalarbeitsvertrag.

Höhere leitende Tätigkeit

Wie bereits gesagt gilt das Arbeitsgesetz und damit auch die Bestimmungen zur Höchstarbeitszeit bei Angestellten mit höherer leitender Tätigkeit nicht. Angestellte mit höherer leitender Tätigkeit im Sinne des Arbeitsgesetztes sind dabei jedoch nicht zwingend mit den leitenden Angestellten im Sinne des Obligationenrechts gleichzusetzen. Insbesondere genügt es nicht, jemanden als «Kader» zu bezeichnen, damit er/sie nicht unter das Arbeitsgesetz fällt. Vielmehr muss dieser Angestellte auf Grund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügen oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen können. In der Regel sind das Angestellte des höchsten Leitungsgremiums einer Unternehmung, wie z.B. Verwaltungsräte, Geschäftsführer etc.

Fazit

Auch wenn Überstundenarbeit und Überzeitarbeit auf den ersten Blick ähnlich erscheint, sieht das Gesetz für beide unterschiedliche Rechtsfolgen und unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten vor. Gerne unterstützen wir Sie bei Fragen zu Überstunden- und Überzeitforderungen sowie bei der Ausarbeitung von Arbeitsverträgen.

Luzern, 1. Juli 2020

Melanie Fischer und Simeon Beeler

 

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