Bin ich an mein Testament bzw. an den Erbvertrag gebunden?

Es kann beruhigend sein, seinen eigenen Nachlass geregelt zu haben. Was aber, wenn der letzte Wille später geändert oder ergänzt werden soll? Kann ich das? Und wie mache ich das?

Das Testament ist eine höchstpersönliche und einseitige Anordnung. So kennt das Schweizerische Recht kein gemeinsames Testament und lässt z.B. auch nicht zu, dass jemand anders bestimmt, ob und durch wen der letzte Willen vollstreckt werden soll. Möchte man sein Testament anpassen, ändern oder aufheben, ist dies individuell möglich unter Einhaltung der Form (öffentliche Beurkundung oder Handschriftlichkeit). Doch wie ist das bei einem Ehe- oder Erbvertrag, der allenfalls sogar unter Mitwirkung der Nachkommen abgeschlossen worden ist?

Der Ehevertrag ist eine Vereinbarung unter den Ehegatten. Für eine Abänderung desselben ist also die Mitwirkung beider Ehegatten erforderlich. Verliert ein Ehegatte die Urteilsfähigkeit (z.B. infolge eines Unfalles mit Komafolge oder infolge Demenz), kann der Ehevertrag nicht mehr geändert oder aufgehoben werden. Hingegen ist die Mitwirkung der Nachkommen nicht erforderlich, selbst wenn ursprünglich ein kombinierter Ehe- und Erbvertrag mit den Nachkommen öffentlich beurkundet worden ist. Die Nachkommen sind einzig Parteien des erbvertraglichen Teils.

Bei einem Erbvertrag – mit oder ohne Beteiligung der Nachkommen – ist die Frage der Abänderbarkeit nicht immer einfach zu beantworten. Nicht selten ergibt sich die Situation, dass der überlebende Ehegatte nach dem Tod des anderen Ehegatten neu festlegen möchte, wer nach dem Tod des zweiten Ehegatten das Vermögen erbt. Darf die Ehefrau letztwillig nur noch ihre Verwandten berücksichtigen oder – umgekehrt – der Ehemann mit einem Testament das Göttikind der Ehefrau als Begünstigten streichen?

Im Gesetz, d.h. in Art. 494 Abs. 3 ZGB, heisst es dazu lapidar: "Verfügungen von Todes wegen, die mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, unterliegen der Anfechtung." Als mit dem Erbvertrag 'nicht vereinbar' gelten sämtliche Verfügungen des Erblassers, die seine vertraglichen Verfügungen von Todes wegen in irgendeiner Form verändern (den begünstigten Personenkreis einschränken oder ausweiten, die Erbquoten verändern, zusätzliche Auflagen enthalten etc.), sofern im Vertrag eine solche einseitige Änderungsmöglichkeit nicht vorbehalten wurde. Die Gretchenfrage ist also, ob die betreffende Klausel im Erbvertrag effektiv bindend gemeint war oder nicht, ob also nach dem (mutmasslichen) Willen des Erstverstorbenen ein späteres Testament mit dem Erbvertrag vereinbar sei oder nicht. Ist die Urkunde unklar, so ist sie nach Massgabe u.a. der Interessentheorie auszulegen. Daraus hat die Praxis z.B. die Vermutung abgeleitet, dass der zweitversterbende Ehegatte in der Regel nur bezüglich der Erben des erstversterbenden Ehegatten gebunden ist, er aber über jenen Teil, welcher an seine eigenen Verwandten gehen soll, weiterhin frei testieren darf. Falls das Ausmass der Bindungswirkung nicht klar ist oder sich eine weitgehende Bindungswirkung aus dem Vertrag ergibt, so ist der überlebende Ehegatte darauf angewiesen, dass die Begünstigten aus dem Erbvertrag mit ihm in einem (öffentlich beurkundeten) Erbverzichtsvertrag der Änderung zustimmen. Kommt ein solcher Vertrag nicht zustande, so geht der frühere Erbvertrag dem ihm widersprechenden späteren Testament jedoch nicht automatisch vor; vielmehr können (müssen) nach dem Ableben des Testators die aus dem Erbvertrag Begünstigten das Testament innert Jahresfrist anfechten. Das Testament ist also nicht per se ungültig oder nichtig, sondern anfechtbar.

Unsere Empfehlung lautet deshalb: Ungewollte Einschränkungen respektive Unklarheiten und Vermutungen in einem späteren Zeitpunkt sind mit einer klaren Formulierung des Erbvertrags oder mit einer Klarstellung eines bereits bestehenden Erbvertrags zu vermeiden. Wir unterstützen Sie mit unserem Fachwissen und unserer Erfahrung, die wir als Fachanwälte SAV Erbrecht haben!

Luzern, 13. Juli 2021

Reto Marbacher

Zurück